Die Argentinier haben Javier Milei, die Niederländer Geert Wilders und die Italiener wählen Giorgia Meloni. Antipluralistische Politik nimmt international Zulauf. Wieso eigentlich?
Warum wählt man rechts?
Sei es eine Inflation, viele Staatsschulden, große Zuwanderung oder für unnötig empfundene Sozialabgaben: Als Wähler gibt es viele Gründe, den rechten Rand zu wählen. Grundsätzlich profitieren derartige Politiker aus gesellschaftlicher Unzufriedenheit. Rechte Politiker präsentieren sich oftmals als „Notbremse“, als ein Erzeugnis dessen, was gemäßigte Politik an Fehlverhalten erbracht hat.
Die Instrumentalisierung von Krisenzeiten sorgt ebenfalls für einen Wählerzuspruch für Parteien wie der AfD. Doch wer rechts wählt, riskiert gleichzeitig seine demokratische Privilegien zu verlieren – denn demokratische Institutionen werden von rechten Parteien meistens abgelehnt. Viele Wähler der AfD verstehen sich nicht als „heimliche Mehrheit“, sondern eher als ausgegrenzte Minderheit. Laut empirischen Untersuchungen sind AfD-Wähler einkommensschwach – also eigentlich das Herzklientel der SPD. Die Wähler der AfD haben große Sorgen in der finanziellen Absicherung im Alter, in der Zukunft ihrer Kinder, über ihre finanzielle Situation, über Gewalt in ihrem Wohnumfeld und über ihre Arbeitsplatzsituation.1

In der Schweiz ist die SVP seit 1999 stärkste Partei im Nationalrat. Ist die Schweiz dadurch weniger demokratischer geworden? Die vielen Akteure im Bundesrat sowie Volksabstimmungen hindern der SVP jedoch daran, all‘ ihre Kampagnen umzusetzen – siehe die „Ehe für alle“.
Bauen Rechte wirklich Demokratie ab?
In Orbáns Ungarn herrscht Rezeßion,2 Brasiliens Ex-Präsident Bolsonaro verletzte Menschenrechte3 und Polens PiS-Partei agierte in ihrer Amtszeit queerfeindlich.4 Diese Tatsachen machen sich nicht gut auf Wahlplakaten, aber leidet unter rechten Politikern wirklich die Demokratie?
Hatte Polen unter Ministerpräsident Tusk im Jahr 2008 noch 7,30 Demokratie-Indexpunkte, verschlechterten sich die Werte 2019 unter Morawiecki trastisch auf 6,62. Die Türkei sammelten im Jahr 2006 unter Staatspräsident Sezer noch 5,70 Punkte ein, 2022 waren es unter Erdogan nur noch 4,35. Ein Einbußen von ganzen 1,35 Punkten. Unter Premierminister Singh stand Indien 2008 auf 7,80 Indexpunkten, ehe es 2021 unter Modi auf 6,91 Demokratie-Punkte abrutschte.5
Derartige Zahlen verstärken Indizien, daß Politiker, die am rechten Rand angesiedelt sind, demokratieschädlich sind. Phänomene wie die Parteipropaganda im öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter der PiS,6 der Erstürmung des Kapitols unter Trump7 und das Zeigen des „Saluto romano“ auf einer Kundgebung in Rom unter der Ära Meloni8 laßen keine pluralistische Demokratietreue erkennen.
Die Sozialdemokratie scheint gespalten
Sozialdemokratische Parteien in der Welt scheinen gespalten. Die slowakische SMER und HLAS passt laut der S&D-Fraktion nicht mehr in die „progressive Familie“. Zum Ukrainekrieg oder zu queeren Rechten scheint die SMER und die HLAS in politischer Inkongruenz mit ihren europäischen Kollegen zu stehen.9
Die rumänische PSD gilt als korrupt,10 die portugiesische PSD als wirtschaftsliberal11 und die dänischen „Socialdemokraterne“ kehren ihren Werten den Rücken, wenn es um Migrationspolitik geht.12 Zieht das nun die Schlußfolgerung, daß die Sozialdemokratie immer schwächer wird? Falsch. Die portugiesische PS (nicht PSD) oder die neuseeländische Labour Party sind klare Leuchttürme der Sozialdemokratie.
Dabei steht es für Parteien am rechten Rand keineswegs besser. Natürlich macht sich ein Rechtsruck in Europa bemerkbar. Dies soll an dieser Stelle auch nicht geleugnet werden. Bemerkenswert ist doch, wie Giorgia Meloni13 oder Marine Le Pen14 zur AfD stehen – nämlich ablehnend. Ein echter Zusammenhalt ist hier nicht erkennbar und spricht auch nicht für den rechten Rand.

Ingesamt zeigen sich viele Menschen unzufrieden mit Scholz‘ Kabinett. Viele Fehler wurden nicht behoben, wie die Wut bei den Bauernprotesten zeigt. Doch ist dies ein Grund, die AfD zu wählen?
Was ist nun wählbar?
Rechte Parteien, die auf Populismus setzen, sind auf gar keinen Fall wählbar. Wer seine Wahlstimme auf rechte Parteien setzt, verkauft am Ende die Demokratie. Natürlich geben die SPD, die Bündnisgrünen, die FDP sowie die Union kein gutes Bild ab. Besonders bei den Ampelparteien macht sich dies in den aktuellen Umfragen deutlich.
Die Recherche für diesen Artikel zeigt jedoch ganz deutlich, daß rechte Parteien keineswegs eine Alternative darstellen. An der Wahlurne gilt, dass jeder Bürger selbst seinen Favorit herauszieht. Doch möchten wir Otto Wels ein zweites Mal „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht!“ aus seinem Grabe hören?
Die Lösung ist doch: die demokratischen Parteien auf seine Weise mitzugestalten. Dies scheint simpel, doch Unzufriedenheit vermindert sich durch eine Abkehr an den demokratischen Parteien nicht. Tagtäglich sollte man sich fragen, was die SPD für jeden Einzelnen machen kann, anstatt diese trotzig zu verlaßen, wenn einem die Demokratie lieb ist.
Quellen
1Hans Böckler Stiftung: Aufstieg des Rechtspopulismus: Erklärungsansätze und Analysen (Stand: 23.01.2024). In: https://www.boeckler.de/de/auf-einen-blick-17945-auf-einen-blick-rechtspopulismus-in-deutschland-37867.htm [Zugriff vom 25.01.2024]
2Neue Zürcher Zeitung: Grosse Sprüche, schlechte Leistung: Viktor Orbans Ungarn steht so schlecht da wie kein anderes europäisches Land (Stand: 28.07.2023). In: https://www.nzz.ch/wirtschaft/grosse-sprueche-schlechte-leistung-viktor-orbans-ungarn-steht-so-schlecht-da-wie-kein-anderes-europaeisches-land-ld.1749062 [Zugriff vom 25.01.2024]
3Kathe, Sandra (Frankfurter Rundschau): Ein Spalter mit Hang zu Extremen: Wer ist Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro? (Stand: 14.06.2022). In: https://www.fr.de/politik/jair-bolsonaro-praesident-brasilien-rechtspopulist-biografie-wahl-91610887.html [Zugriff vom 25.01.2024]
4Süddeutsche Zeitung: Polens „Stop LGBT“-Gesetz: Und die katholische Kirche macht mit (Stand: 29.10.2021). In: https://www.sueddeutsche.de/meinung/polen-pis-katholische-kirche-lgbt-sa-nsdap-1.5452494 [Zugriff vom 25.01.2024]
5Vgl. ourworldindata.org: Democracy index (Stand: unbekannt). In: https://ourworldindata.org/grapher/democracy-index-eiu?tab=table&time [Zugriff vom 25.01.2024]
6Tagesschau (ARD): Rundfunk-Streit in Polen: PiS-Blockade und eine neue Sendung (Stand: 22.12.2023). In: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/polen-medienfreiheit-100.html [Zugriff vom 26.01.2024]
7Simon, Doris (Deutschlandfunk Kultur): Trump im Zusammenhang mit Kapitol-Erstürmung angeklagt (Stand: 02.08.2023). In: https://www.deutschlandfunkkultur.de/dritte-anklage-gegen-trump-diesmal-wegen-verschwoerung-zum-wahlbetrug-dlf-kultur-d948ba17-100.html [Zugriff vom 26.01.2024]
8Die Zeit: Italien: Hunderte zeigen Faschistengruß bei Versammlung in Rom (Stand: 08.01.2024). In: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2024-01/rom-faschisten-gruss-hunderte-menschen [Zugriff vom 26.01.2024]
9Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament: Die S&D-Fraktion plant die Suspendierung ihrer slowakischen Europaabgeordneten (Stand: 12.10.2023). In: https://www.socialistsanddemocrats.eu/de/newsroom/die-sd-fraktion-plant-die-suspendierung-ihrer-slowakischen-europaabgeordneten [Zugriff vom 26.01.2024]
10Mappes-Niediek, Norbert (Deutschlandfunk): Rumäniens Sozialdemokraten: Eine Partei vergisst sich selbst (Stand: 20.02.2019). In: https://www.deutschlandfunk.de/rumaeniens-sozialdemokraten-eine-partei-vergisst-sich-selbst-100.html [Zugriff vom 26.01.2024]
11Hofmeister, Wilhelm und Gregório, Inês (Konrad-Adenauer-Stiftung): Parlamentswahl in Portugal 2022 (Stand: 08.02.2022). In: https://www.kas.de/de/laenderberichte/detail/-/content/parlamentswahl-in-portugal-2022 [Zugriff vom 26.01.2024]
12Friedrich-Ebert-Stiftung: Restriktiv & Kontrovers: Neue sozialdemokratische Migrationspolitik in Dänemark (Stand: unbekannt). In: https://www.fes.de/themenportal-flucht-migration-integration/artikelseite-flucht-migration-integration/restriktiv-kontrovers-neue-sozialdemokratische-migrationspolitik-in-daenemark [Zugriff vom 26.01.2024]
13Redaktionsnetzwerk Deutschland: Diskutiertes Bündnis: Meloni sieht „unüberbrückbare Differenzen“ mit AfD (Stand: 05.01.2024). In: https://www.rnd.de/politik/afd-buendnis-meloni-sieht-unueberbrueckbare-differenzen-mit-deutscher-partei-FCFYIXOXHJL25ERCE2KFMLOFQM.html [Zugriff vom 26.01.2024]
14Der Spiegel: Massenvertreibungspläne: Le Pen distanziert sich von der AfD (Stand: 26.01.2024). In: https://www.spiegel.de/ausland/massenvertreibungsplaene-der-rechtsextremisten-marine-le-pen-distanziert-sich-von-der-afd-a-83c256bb-2497-45b2-b1d4-0fb2ce218c43 [Zugriff vom 26.01.2024]