„Ich schaue eher skeptisch auf 2024“

Im Jahr 2015 fand das Attentat auf Henriette Reker, der Kölner Oberbürgermeisterin, statt. Zwei Jahre später wird der CDU-Bürgermeister Andreas Hollstein mit einem Meßer angegriffen. Auf das Wahlkreisbüro von Karamba Diaby ist im Jahr 2020 geschoßen worden. Wie steht es um die Sicherheit von Kommunalpolitikern? Und welche Prognose kann man für die heutige Zeit ziehen?

Angriffe auf Politiker sind keineswegs ein Phänomen des 21. Jahrhunderts. Vor mehr als 100 Jahren entging der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann, einem großen Vater der Weimarer Republik, nur knapp einem Mordversuch.

Gemeinsam mit Alexander Lehmann nimmt die Pluralistische die Sicherheit von Kommunalpolitikern in den Fokus. Lehmann ist Referent bei der SGK. Diese vernetzt sozialdemokratische Kommunalpolitiker miteinander und zählt rund 20.500 Mitglieder.


Die Pluralistische: Ab wann sprechen wir von Hass und Hetze? Gibt es hierfür Kriterien oder Einstufungen?

Alexander Lehmann: Bedrohung von kommunalen Amts- und Mandatsträgern hat leider vielfältige Ausprägungen – weswegen die Definition von Kriterien sehr schwierig ist. Die Erfahrungen von Betroffenen reichen von Beleidigungen oder despektierlichen/diskriminierenden Äußerungen im öffentlichen oder privaten Raum, Drohungen online oder offline bis hin zu gewaltsamen Übergriffen oder deren Androhung. Um nur ein konkretes Beispiel zu nennen, wurde während der Corona-Pandemie ein Fakelmarsch vor das Haus des Oberbürgermeisters der Stadt Halberstadt in Sachsen-Anhalt organisiert. Dies hatte zur Folge, dass seine Familie und er mehrere Wochen von der örtlichen Polizei abgesichert werden mussten.

Die Pluralistische: Verfügst du über Daten, von welchen politischen Milieus dieser Hass ausgeht?

Alexander Lehmann: Konkrete Daten zu den politischen Milieus sind mir nicht bekannt, doch zeigt die Erfahrung und das Gespräch mit Betroffenen, dass vor allem Personen aus dem rechtextremen, identitären Milieu Ausgangspunkt von Hass und Hetze sowohl online als auch offline sind.

„Die Erfahrung und das Gespräch mit Betroffenen zeigt, dass Täter oftmals aus dem rechtsextremen, identitären Milieu stammen“

Die Pluralistische: Wenn wir nun auf das letzte Jahr blicken, würdest Du sagen, dass sich die Lage verkrampft oder verbessert hat? Hast du Zahlen für einen Anstieg / Abstieg an Hass und Hetze?

Alexander Lehmann: Aus meiner Sicht kann man nicht von einer Verbesserung / Entspannung der Lage sprechen bzw. ausgehen. Die Forschungsstelle Terrorismus/Extremis­mus des Bundeskriminalamts führt zusammen mit den kommunalen Spitzen­verbänden (Deutscher Städtetag, Deutscher Landkreistag und Deutscher Städte- und Gemeindebund) ein „Kommunales Monitoring zu Hass, Hetze und Gewalt gegenüber Amts­trägerinnen und Amtsträgern“ durch. Es handelt sich hierbei um eine längsschnitt­lich angelegte bundesweite Befragung aller ehren- und hauptamtlichen (Ober-)Bürger­meister:innen und Landrät:innen sowie ehrenamtlicher Mandatsträger:innen die in einem sechsmonatigen Turnus durchgeführt wird. Die Auswertung der letztmaligen Befragung Anfang 2023 zeigt, dass 34 % der Befragtenpersönlich verbale/schriftliche Anfeindungen und/oder Hasspostings im Internet und/oder tätliche Übergriffe gegen ihre Person erlebt zu haben. Während Anfeindungen und Hasspostings im Durch­schnitt 1-2 Mal im Monat erlebt wurden, wurden tätliche Übergriffe hingegen selte­ner erlebt.

Richtet man das Augenmerk auf den zuletzt erlebten Vorfällen, so wird in der Befragung deutlich, dass es sich in den meisten Fällen um Beleidigungen (39 %), Verleumdung/üble Nachrede (39 %) und Bedrohung/Nötigung (12 %) handelt. Gefolgt von jeweils 2 % Sachbeschädigung und Volksver­hetzung. Diese wurden überwiegend in den sozialen Netzwerken, per Mail, per Brief, von Angesicht zu Angesicht auf der Straße sowie auf einer öffentlichen Veranstaltung/ am Wahlkampfstand erlebt.

Darüber hinaus bezog sich der letzte Vorfall in 89 % der Fälle auf die Person als Amts­träger:in und in 8 % der Fälle aufgrund von individuellen Merkmalen im Sinne von Hasskriminalität, wobei hier das Merkmal der „sexuellen Orientierung“ am häufigsten genannt wurde. 3 % gaben an, dass die letzte Anfeindung einen Bezug zur Familie bzw. engen Angehörigen aufweist.

Hinsichtlich der vermuteten Handlungs­motivation der Täter:innen ergibt sich durch die Befragung folgendes Bild: Persönliche Unzufriedenheit/Frustration der Bürger:innen (22 %), Unzufriedenheit mit kommunalen Entscheidungen (17 %), Intoleranz/Unfähigkeit Konflikte auszu­tragen (14 %), Egoismus/Anspruchsdenken (13 %) sowie Uninformiertheit/Nicht-Wis­sen über politische Prozesse und die Rolle des Amtsträgers (12 %). In 7 % der Fälle wurden parteipolitische Gegner:innen hinter der Anfeindung vermutet, wäh­rend mit jeweils 5 % der Vorfall als politisch rechtsmotiviert bzw. aus einer sozialen Bewegung heraus stammend eingeordnet wurde. Eine links- bzw. religiös motivierte Zuordnung spielte hier eine eher unter­geordnete Rolle (2 % – 1 %).

Die Pluralistische: Welche Aussichten hast du dabei für 2024?

Alexander Lehmann: Betrachtet man die Entwicklungen der zurückliegenden Jahre schaue ich eher skeptisch auf 2024. Der gefühlt andauernde Krisenmodus, in dem politische Entscheidungen getroffen werden müssen, könnte zu einer weiteren Verschärfung sozialer Konflikte und damit einer weiteren Verrohung in der politischen Debatte führen.

Auf der anderen Seite haben wir in den letzten Wochen und Monaten viel bürgerschaftliches Engagement und Solidarität in der Bevölkerung erlebt als es darum ging ein klares Zeichen gegen Rechtsextremismus, Hass und Hetze zu setzen. Hundertausende Menschen sind dafür auf die Straßen gegangen.

Hundertausende Menschen sind dafür auf die Straßen gegangen“

Die Pluralistische: Kommunale Amts- und Mandatsträger verfügen ja über keinerlei Sicherheitspersonal. An wen kann sich z. B. ein Gemeinderatsmitglied einer Kleinstadt wenden, wenn dieser permanenten Droh-E-Mails ausgesetzt wäre?

Alexander Lehmann: Sollte man als Mandatsträger:in von einer Bedrohungssituation, gleich welcher Art, betroffen sein, ist aus meiner Sicht der erste und wichtigste Punkt, dies zur Anzeige zu bringen. In den letzten Jahren wurden in nahezu allen Bundesländern Spezialstaatsanwaltschaften ins Leben gerufen die sich auf die Ermittlungen und Verfolgung von Hasskriminalität in seinen unterschiedlichen Ausprägungen spezialisiert haben. Auch wurden viele Polizist:innen geschult dies nicht als Kavalierdelikt anzusehen.

Als Betroffener sollte man sich auch nicht davor scheuen, professionelle Hilfe bei spezialisierten NGOs zu suchen. Ich denke hier z.B. an HateAid – die sich vor allem auf Hasskriminalität im Netz spezialisiert haben oder auch bei Opferberatungen. Sich professionelle Hilfe zu suchen, ist kein Zeichen von Schwäche.

Das auf Initiative der Körber-Stiftung in Zusammenarbeit mit den Kommunalen Spitzenverbänden ins Leben gerufene Portal „Stark im Amt“ (www.stark-im-amt.de) bietet Betroffenen die Möglichkeit sich über solche Beratungsangebote und -möglichkeiten sowie über mögliche Ansprechpartner:innen bei Justiz und Polizei zu informieren. Hier präsentiert sich ein breites Unterstützungsnetzwerk.

Zudem hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat vor kurzem, im Rahmen des Aktionsplans gegen Rechtsextremismus, eine bundesweite Anlaufstelle zum Schutz kommunaler Amts- und Mandatsträger:innen ins Leben gerufen (https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2024/01/ansprechstelle_kommunale_mandatstraeger.html). Diese Stelle soll beim Deutschen Forum für Kriminalprävention angesiedelt werden und Betroffenen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Diese Anlaufstelle fußt auf Vorschlägen der vom BMI gegründeten „Allianz zum Schutz kommunaler Amts- und Mandatsträger:innen“ an der auch die Bundes-SGK aktiv mitgewirkt hat.

Die Pluralistische: Verfügt die SGK dabei auch über eine spezielle Beratungsstelle, die sich an ebensolche Betroffene richtet?

Alexander Lehmann: Die SGK sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene verfügt nicht über eigene spezielle Beratungsstellen. Die qualifizierte Betreuung von Betroffenen bedarf aus unserer Sicht entsprechender Fachexpertise. Diese können wir bzw. die Kolleg:innen auf Landesebene nicht leisten. Wir sehen unsere Hauptaufgabe darin, für Betroffenen ansprechbar zu sein und passende Beratungsangebote zu vermitteln.

„Eine Bedrohung unbedingt zur Anzeige bringen“

Die Pluralistische: Hast du zudem noch Tipps an Betroffene, im Umgang mit Hass und Hetze?

Alexander Lehmann: Durch zahlreiche Gesprächen mit Betroffenen bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass vor allem die offene Kommunikation mit Freund:innen, Familie und Kolleg:innen oft hilft, mit der Situation fertig zu werden und auch die nötige Unterstützung zu erhalten. Man sollte Hass und Hetze nicht auf die leichte Schulter nehmen. Aus einem einfachen Hassposting im Netz kann leider viel zu schnell Ernst werden. Daher wäre mein Rat immer, Bedrohungen gleich welcher Art zur Anzeige zu bringen.

Die Pluralistische: Wie kann Hass und Hetze an kommunale Amts- und Mandatsträger bekämpft werden? Eine Rezeptformel gibt es hierfür sicherlich nicht.

Alexander Lehmann: Ein „Rezept“ gibt es dafür leider wirklich nicht. Ich glaube wir müssen als Gesellschaft wieder mehr lernen andere Meinungen, Lebenseinstellungen und -weisen zu akzeptieren. Den Diskurs, sei er politisch oder gesellschaftlich, auf Augenhöhe zu führen. Auch die politische Bildung spielt hier aus meiner Sicht eine entscheidende Rolle.

Mit Blick auf das Thema Hass und Hetze im Netz muss den Täter:innen klar werden, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Das man sich nicht hinter anonymisierten Benutzernamen verstecken und seinen Hass in die Welt tragen kann. Die rechtlichen Grundlagen dafür sind geschaffen – nun müssen Polizei und Justiz entsprechend handeln.


Wir danken Alexander Lehmann herzlichst für das Gespräch. Das Gespräch führte der Autor Pascal „Törleß“ Conzelmann. Auf das pluralistische Eszett („ẞ“ / „ß“) wurde beim Interview verzichtet, um das Gesprächsprotokoll zu wahren.